Texte
Dr. Tobias Wall
Herbstzeitlos
Rede zur Ausstellungseröffnung im Städtischen Museum Engen
12. Oktober 2012
Annerose Brauns Bilder lassen sich in meinen Augen nahtlos in die Tradition der sinnlichen Malerei einordnen. Sie sind heiter in ihrer Farbigkeit und auf eigenartige Weise unbeschwert, frei schwebend irgendwo zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion. Sie haben nichts Konstruiertes oder Gewolltes, sind nicht komponiert, vielmehr wachsen sie aus sich heraus.
Annerose Braun macht der Leinwand zunächst einen Vorschlag: sie setzt ein Bildelement auf den leeren, weißen Untergrund. Manchmal ist es ein Farbfleck, manchmal ein gegenständliches Detail. Und dann fängt das Werk an, auf sonderbare Weise seine eigene Entstehung mit zu bestimmen. Es deutet der Künstlerin den nächsten Gestaltungsschritt, da löst sich der Schuh auf, wird z.B. von Gras überwuchert, die Farbe verändert sich, hier will eine neue Form hin, verliert sich oder weitet sich aus. Die Künstlerin nimmt dieses Eigenleben des Werkes auf und entwickelt es weiter. Es ist eine Mischung aus Einfall und Zufall. Sie agiert und reagiert gleichermaßen. Sie formt mit Farbe und horcht ihr gleichzeitig nach. Das Bild entsteht, indem die Künstlerin so lange Formen und Gegenstände kommen und vergehen lässt, übermalt, verwischt, ordnet, schiebt, verwirft, verbirgt, entdeckt, bis schließlich der Bildraum seine stimmige Ordnung gefunden hat.
So ein Prozess kann lange dauern, mitunter Monate. Immer wieder zieht Annerose Braun ein Werk hervor, das noch keine Ruhe geben und weiterentwickelt werden will. Das Ergebnis solch geduldiger Reifeprozesse sind ausgesprochen klangvolle Bilder mit einer großen gestalterischen Vielfalt. Fein ausgearbeitete Details neben großzügigen Farbflächen oder delikaten Übergängen.
In ihrer Sinnlichkeit, Vielstimmigkeit und Offenheit strahlen ihre Werke eine in sich ruhende Heiterkeit aus. Es ist die Ruhe, die sich einstellt, wenn das Zwiegespräch
zwischen Künstlerin und Werk, zwischen Einfall und Zufall einen Abschluss erlangt hat; wenn eine Bildidee wie von selbst im Werk ihre Heimat gefunden hat.
Prof. Dr. Ursula Stinkes
Auszug aus der Rede „schwerelos & vielgeschichtet“
1. April 2012, Güglingen
Paul Klee formulierte, Kunst wäre eine Erinnerung an das Uralte, Dunkle, von deren Fragmenten der Künstler immer noch lebe.
Dieser Gedanke von Paul Klee begleitet mich immer, wenn ich die Arbeiten von Frau Braun betrachte. Denn für mich geht es Annerose Braun um persönliche Erinnerungen, um eigene Erfahrungen und Vorstellungen, die in einer bildnerischen Auseinandersetzung angedeutet werden. Das gemalte Bild wird materielle Präsenz eines ganz persönlichen Bildes von der Welt. Leinwand als eine Art Kompromiss zwischen Erinnerung und Gestaltungswille.
In einem Prozess des mehrfachen Zudeckens mit Acrylfarbe, des Aufdeckens und Stehenlassens von Farbflächen, wirkt das Malen wie ein direktes Handeln; es sind Spuren einer Gestik, Choreographie einer Rhythmik, so dass das Malfeld selbst zur Botschaft wird.
Man könnte geneigt sein, in den Bildern von Frau Braun surrealistische Tendenzen festzustellen. Aber es geht hier um Gefühle, Ahnungen, Erinnerungen, die nur sehr andeutungsweise Form werden. Es ist eine biografische Arbeit, die sich aussetzt und auf der Suche ist nach einem gestalterischen Ausdruck für Erinnerungen, Widerfahrnisse und Provokationen. Linien, Flächen, Raum und Farbe wirken wie ein ‚Protokoll’, eine ‚Dokumentation’ eines Moments aus dem Leben von Annerose Braun: eine Art Psychogramm. Die Leinwand ist Fläche und zugleich ein Aktionsfeld, in dem und auf dem agiert wird. Das hat etwas Befreiendes. Diese Technik erinnert an die Arbeiten der Künstler aus den 1930er Jahren; wie Motherwell, Wols, Pollock, die vom Surrealismus die Technik des Automatismus übernahmen. Diese Technik lässt abstrakte Bilder zu, die ausdrücklich inneres und äußeres Leben miteinander verbinden und durch Vieldeutigkeiten bildnerisch zutage bringen will.